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Nach der Flut kam die Verzweiflung

Christoph Pauli
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Von Christoph Pauli
| 24.07.2021 10:21 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 7 Minuten
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Die Menschen in Eschweiler und Stolberg stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. „Ein Herz für Ostfriesland“ will helfen und bittet um Spenden. Jeder Euro ist herzlich willkommen.

Gemeinsam mit der Aachener Zeitung (AZ) sammelt diese Zeitung Spenden für die Flutopfer. Dieser Text ist in der AZ erschienen und zeigt das Ausmaß der Hochwasserkatastrophe. Eschweiler/Stolberg - Die Katastrophe hat inzwischen einen Klangteppich bekommen. Hunderte Dieselaggregate surren vor sich hin und produzieren Strom, denn die übliche Verbindung ist vorerst abgesoffen. An einigen Orten hat die Katastrophe auch einen Geruch, es riecht nach ausgelaufenem Heizöl, das sich nun verflüchtigt.

Die Woche nach der Regenflut: Das wütende, alles niederwalzende Wasser hat sich wieder in sein Bett zurückgezogen, was geblieben ist: die Verzweiflung. Wenn man aus der Luft auf die überflutete Region gucken würde, könnte man vermutlich ein gigantisches Fragezeichen erkennen. Es gibt aber auch da unten ein kleines trostspendendes Ausrufezeichen. Denn nach der Flutwelle folgt nun die Welle der Hilfsbereitschaft.

Im Restaurant ist nichts mehr zu retten

Jahrzehntelang hat Gisela Kreus mit ihrem Mann das St. Benedikt in Konelimünster betrieben, bevor sie es an ihren Sohn Maximilian übergeben hat. Jetzt hat die Familie das verschlammte Inventar vor ihrem Gourmetrestaurant aufgebaut wie bei einem Flohmarkt. Zwangsinventur. Drinnen ist nichts mehr zu retten, die Einrichtung, die Küche, die Geräte – ein Opfer der Fluten. Endstation Container.

Die Renovierung wird Monate dauern. Aber Gisela Kreus will nicht so sehr klagen an diesem Samstagmorgen. Sie lobt die Arbeit der Feuerwehr, des THW, der Müllflotte. Und sie fragt sich, wer da gerade beim Tragen hilft. Wildfremde Leute sind ins Städtchen gekommen, bewaffnet mit Handschuhen, ausgerüstet mit viel Motivation. „Sie kommen einfach und packen mit an“, sagt Kreus bewegt.

Schlamm im Haus des Hafenmeisters

Der laute Trafo von Michael Cosler steht hinter seinem Haus in Kornelimünster direkt an der Inde. Vorne an der Haustür ist seit Jahren eine Extra-Klingel für die Terrasse angebracht. „Hafenmeister 2x klingeln“, steht da. Exakt bis zur Höhe des Klingelknopfes auf etwa 160 Zentimetern ist das Wasser gestiegen. Es drang von der Fluss- und noch stärker von der Marktseite ein. Cosler war mit seiner Frau gerade im Urlaub in der Bretagne, als ihn die ersten Wasserstandsmeldungen aus der Heimat erreichten. Mit dem Wohnmobil legte er nonstop die 990 Kilometer bis nach Aachen zurück, er kam in seinem Ort in der Nacht zum Donnerstag an, als die Inde historische Höchststände verzeichnete.

Die Coslers mussten in ihrem Wohnmobil bleiben, bevor sie das verschlammte Erdgeschoss endlich betreten durften. Anfangs war der Hausherr unzufrieden mit der Kommunikation der Behörden, auch die wirkten – wie alle hier – überfordert. Mit dem Absinken des Wasserpegels ist auch der Stresspegel gesunken. Was aus seinem Haus mit Flussblick wird, entscheidet in den nächsten Wochen ein Sachverständiger – wie auch in Tausenden anderen Fällen. „Wenn die Statik hält, wären wir glimpflich davongekommen“, sagt er. „Da hat es andere zum Beispiel in Stolberg schlimmer erwischt.“

Bücher, Sofas, Autos – alles reif für den Müll

Unten in Stolberg wachsen Müllberge: Sofas, Teppiche, Fernseher, Autos, Klamotten, aber auch Bücher, Notizen und damit Geschichten. Irgendwann lässt sich vielleicht der Sachschaden in Millionen Euro angeben, aber für den seelischen Schaden wird es nie eine Zahl geben. Schicksale lassen sich nicht beziffern. Die Vicht fließt immer noch schneller, aber sie hat sich wieder zurückgezogen.

An einer Brücke hat die Natur an einem ausgebeulten Gelände eine kleine Installation entstehen lassen. Ein Teppich aus Pflanzen, Plastiktüten, Eimerresten, aber auch wie zum Hohn aus einem Regenschirm. Herbert Buschmann betrachtet das Stillleben, das vor sich hin trocknet. Er hat hier unten lange gewohnt, auch damals, 1966, als sich das Wasser ebenfalls selbstständig machte. Das war nicht so schlimm, erinnert sich der 79-Jährige, der schon längst oberhalb der Stadt zu Hause ist. „Das sieht heute aus wie im Krieg.“

Ladeninhaberin vor Trümmern der Existenz

Ein paar Müllberge weiter hat Svenja Oebel ihr Geschäft am Steinweg. Es ist eine besondere Geschichte, sie hat das Lokal von ihrer Oma übernommen, die dort jahrzehntelang Ledersachen verkaufte. „In dem Laden steckt viel Herzblut.“ „Blattrausch Concepts“ hat sie ihr Geschäft genannt. In den sozialen Medien nennen sie sich die „Steinweg-Connection“, dazu gehören auch noch Laura Markenstein und Jasmin Schön, die ihre Geschäfte in der Nachbarschaft führen. „Wir waren mutig, aber auch zuversichtlich.“

Dann kam erst die Pandemie und jetzt die Flut. Am Mittwoch war Ruhetag, aber Svenja Oebel ist trotzdem zu ihrem Geschäft gefahren, das im elterlichen Haus liegt. Das Wasser stieg, aber es war nicht bedrohlich. Ein paar Artikel wurden höhergestellt, das sollte doch ausreichen. Die 32-Jährige ist im Steinweg groß geworden, sie kennt die Vicht, ein harmloses Bächlein. Deswegen blieb sie zuversichtlich, auch als das Wasser Hüfthöhe erreichte. In der Nacht erreichten sie dann die Bilder von ihren Eltern aus dem Haus. Die Straße war dunkel – bis auf die Laternen, das Wasser war nicht mehr aufzuhalten. Sie hat die Nacht am Handy und mit Hiobsbotschaften verbracht. Als sie am nächsten Morgen „ihren“ Steinweg betrat, lagen da die weggespülten Autos, die Schlammberge, Geröll, die Zeichen der Verwüstung. „Wo soll ich anfangen?“, hat sie laut gefragt. Und dann hat sie mit ihrer Familie und Freunden angefangen zu entrümpeln: den Keller und dann ihr Geschäft, das sie „Euphorie für das Zuhause“ genannt hat. Die Euphorie landet jetzt auf dem Müllberg.

Manche haben jetzt noch Tränen in den Augen

Wie so viele Menschen steht Svenja Oebel – anders kann man es nicht beschreiben – vor den Trümmern ihrer Existenz. Der Ausdruck ist nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, als es sogar eine Trümmerliteratur mit Autoren wie Heinrich Böll oder Erich Kästner gab. Das ist lange her, niemand hat wieder eine Apokalypse beschreiben müssen.

Bis vor ein paar Tagen. Auch Svenja Oebel fehlen die Worte. Drinnen im ausgeräumten Laden lässt sich die Situation besser ertragen als draußen, wo die Anwohner seit Tagen nur noch das aufstapeln, was sie gerade verloren haben. Manche haben auch jetzt noch Tränen in den Augen, wenn sie die Spuren beseitigen. Sie ist nicht alleine in diesen furchtbaren Stunden, in denen der Boden unter ihren Füßen schlammig ist. Viele Freunde sind gekommen, es ist berührend, wie viele wildfremde Menschen mit anpacken wollen.

Die Verzweiflung ist greifbar

Die Verzweiflung ist greifbar in dem Ort. Niemand weiß, wie es weitergeht. Helfer liegen auf dem halb weggerissenen Bürgersteig, um die Rückenmuskulatur zu entspannen.

In das Gemälde der Tristesse taucht unverhofft ein Amazon-Transporter auf, der Fahrer will Waren ausliefern. Vermutlich stammt der Auftrag aus einer anderen Epoche, als es hier noch Straßenschilder gab.

So können Sie den Menschen helfen

Über das Hilfswerk „Ein Herz für Ostfriesland“ wollen wir Geld für die Flutgeschädigten im Verbreitungsgebiet der AZ sammeln. Die gemeinnützige GmbH „Ein Herz für Ostfriesland“ ist eine 100-prozentige Tochter der Zeitungsgruppe Ostfriesland, zu der diese Zeitung gehört.

Das Spendenkonto lautet: „Ein Herz für Ostfriesland gGmbH“, IBAN: DE 51 2856 2297 0414 5372 00 bei der Raiffeisen-Volksbank Aurich. Die Adresse für Spenden über Paypal lautet: info@einherzfuerostfriesland.de. Spendenquittungen (für Beträge ab 200 Euro) können auf Wunsch auch ausgestellt werden. Nähere Informationen gibt es per E-Mail an info@einherzfuerostfriesland.de und unter Telefon 0491 / 97 90 550.

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