Rijeka/Galway (dpa)

Rijeka und Galway trotzen dem Coronavirus

Gregor Mayer und Silvia Kusidlo, dpa
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Von Gregor Mayer und Silvia Kusidlo, dpa
| 01.07.2020 09:45 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Mit vielen Ideen und großen Ambitionen starteten zwei Städte in Kroatien und Irland ihre Kulturprogramme 2020. Doch dann brach die Corona-Pandemie über sie herein. Noch nie hatten Europäische Kulturhauptstädte mit solch widrigen Umständen zu kämpfen.

Der Auftakt war spektakulär. Mit einer „Opera Industriale“, die mit tanzenden Kränen, Punk-Orchester und großen Chören im Hafenbecken beeindruckte, startete die kroatische Stadt Rijeka am 1. Februar ins Europäische Kulturhauptstadt-Jahr.

Die Ambitionen waren hoch gesteckt. Aus der künstlerischen Verarbeitung der Themen Wasser, Arbeit und Migration, die den Ort seit Jahrhunderten prägen, wollte man Inspirationen für das post-industrielle Zeitalter schöpfen.  

Doch dann brach das Coronavirus aus. Wochenlang legten Lockdowns Europa lahm. Dem Kulturhauptstadt-Motto „Hafen der Vielfalt“ fügte Rijeka ein weiteres hinzu: „In Zeiten des neuen Abnormalen“. Ivan Sarar, Leiter der Kulturhauptstadt-Agentur Rijeka 2020 und Kulturdezernent der 130 000-Einwohner-Stadt, sagt zur Halbzeit des Jahres: „Wir müssen jetzt mit der Hälfte des vorgesehenen Budgets auskommen.“

Der ehemalige Punk-Musiker aus der Underground-Szene des alten Jugoslawiens musste das Programm mit ursprünglich 300 Projekten und 600 Events arg reduzieren. „Wir strichen alle großen Musik- und Theaterproduktionen“, erklärt er beim Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur im Rathaus von Rijeka. „Wir strichen alles Elitäre und Super-Teure. Viele Menschen verloren ihren Job und gerieten in existenzielle Notlagen - ein Festhalten daran hätten wir als prätentiös empfunden.“

Die großen Infrastrukturprojekte stehen hingegen nicht in Frage. Sie sind, mit maßgeblicher EU-Hilfe, bereits im Stadium der Realisierung. Auf dem Areal der alten Zuckerfabrik entsteht unverändert das neue Museumsviertel, mit neuer Stadtbibliothek und interaktivem Museum für Kinder. Eine bedeutsame internationale Ausstellung mit dem Titel „Das leuchtende Meer“ soll am 13. August eröffnen.

Die deutsche Kuratorin Inke Arns stellt in den Lagerhallen am Hafen eine Avantgarde-Schau zusammen, die den unsichtbaren ökonomischen Strukturen - wie unterseeische Ölförderung, maritime Steuerparadiese und exterritoriale Start-ups - nachspürt, für die die Weltmeere als globales Medium fungieren.

Programmmacher Sarar legt aber auch Wert darauf, dass die vielen zivilen Projekte unter Einbindung der Bevölkerung Rijekas und des Umlands weitergehen. „Uns sind diese Gemeinschaften wichtig“, sagt er. Eine dieser Initiativen erlebte am letzten Juni-Wochenende ihren Start. Bürgerinitiativen nahmen einen Teil der pittoresken Schlucht im Hartera-Viertel in Besitz. Ein paar Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt säumen verlassene Fabriken und Lagerhallen die Ufer des Flusses Rjecina. Die Initiativen wollen hier gemeinschaftlich zu nutzende Räume schaffen, unter anderen sind  Radiomacher, Musiker, Skater und Bienenzüchter dabei. Das Projekt wird vom Goethe-Institut in Zagreb und dem Berliner Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U) unterstützt.

Am Bürgerforum am ersten Abend nimmt auch Bürgermeister Vojko Obersnel teil. Er zeigt sich angetan und verspricht: „Hartera hat seinen Platz in den Entwicklungsplänen der Stadt.“ Matthias Müller-Wieferig, der Leiter des Zagreber Goethe-Instituts, zeigt sich ebenfalls zufrieden: „Hier werden Bürger darin bestärkt, sich verborgene Räume ihrer Stadt zu erschließen.“

Auch in der Kulturhauptstadt Galway an der rauen Westküste Irlands musste das Programm zusammengestrichen werden - nicht nur wegen der Pandemie. Heftige Stürme und Regen machten den Veranstaltern schon zuvor das Leben schwer, schon in der Auftaktwoche mussten erste Events abgesagt werden.

Dabei hatte Kreativdirektorin Helen Marriage ursprünglich sogar mit dem unvorteilhaften Wetter geworben: „Galway ist wie Barcelona mit Regen, denn hier regnet es 240 Tage im Jahr.“ Es sei ein wilder Ort am Ende Europas mit Blick auf den Atlantik. Der Wind werde zur Eröffnung heulen und es werde regnen, sagte Marriage. So war es dann auch. 

Doch die Pandemie stellte all dies in den Schatten. Etwa 150 Projekte mit mehr als 2000 Veranstaltungen zu den Themen Sprache, Landschaft und Migration waren in Irland geplant. Die meisten Angebote wurden gestrichen. Die Regierung unterstützt nun die Überarbeitung des Programms. Was an Veranstaltungen trotz Corona-Krise zugelassen wird, soll dann von September 2020 bis März 2021 gezeigt werden, sagte Róisín Birch vom Organisationsteam in Galway der Deutschen Presse-Agentur.

Das ehemalige Fischerdorf Galway ist vor allem für traditionelle irische Musik und seine Pubs bekannt. Weltoffenheit und kulturelle Vielfalt ziehen normalerweise viele Studenten und Touristen in die Stadt, die 80 000 Einwohner hat. Pressesprecher Fintan Maher hofft, dass etwa 30 Projekte so noch gerettet werden können. Einfach zu lösen ist das Problem bei Filmen und Theaterstücken; sie werden nun online gezeigt. Abgesagt wurde eine gigantische Lichtinstallation in den Connemara-Bergen des finnischen Künstlers Kari Kola, die in vier Nächten 20 000 Besucher anziehen sollte. „Glücklicherweise konnten wir das Ereignis während der Probe festhalten und präsentierten es als digitales Kunstwerk.“ Hunderttausende Menschen haben sich demnach „Savage Beauty“ angeschaut.

Die Kulturhauptstadt Europas ist eine Initiative der Europäischen Union. Jedes Jahr werden zwei Städte ernannt, meistens eine aus den alten EU-Staaten und eine aus den neuen. In Deutschland war zuletzt Essen mit dem Ruhrgebiet (2010) Europäische Kulturhauptstadt. 

© dpa-infocom, dpa:200701-99-628965/3

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